Der Prozess wird fortgesetzt: Strafjustizgebäude, Raum 176, 9 Uhr.

Die Prozesserklärung gibt es hier: http://esregnetkaviar.wordpress.com/2009/05/20/prozesserklarung/#more-746

Einladung zur Vernissage:

Schlachtengemälde

Wie aus Presse, Funk und Fernsehen bekannt, wurde am 20. August 2008 die Finissage des interaktiven Landgangs durch die Sonderrechtszone von einem Rollkommando der Polizei überfallen. Jetzt stehen jedoch nicht die verantwortlichen Beamten vor Gericht, sondern einer der angegriffenen Performer von Es regnet Kaviar. Das Aktionsnetzwerk gegen Gentrification hat deshalb den lettischen Maler Kristofs Sèfers mit der Darstellung der Vorgänge in einem Schlachtenbild betraut. Das Gemälde wird (vor der Verhandlung in Raum 142) vor dem Strafjustizgebäude der Öffentlichkeit vorgestellt.

Einführung: Dr. A. Vonvalckenberg Gesang: St. Pauli Perlen Dresscode: Schanzen-Schick, New-York-Bohemia, Berlin-Mitte-Style Internet: www.esregnetkaviar.de

18. Mai, 9 Uhr, auf den Stufen des Strafjustizgebäudes, Sievekingplatz 3, Hamburg

 

Zur Enthüllung des Schlachtengemäldes auf den Stufen des Strafjustizgebäudes hielt Dr. Ananas Vonvalckenberg diese Rede:

SCHLACHTENGEMÄLDE

In verschlüsselter Form greift der Künstler hier das fast ausgestorbene Genre des Schlachtenbildes auf - ein Genre, das die Menschheit, wenn man so will, schon seit der Höhlenmalerei begleitet, spätestens jedoch seit der Staatenbildung: verwiesen sei hier auf ägyptische Wandmalereien und auf Klassiker wie die "Alexanderschlacht" von Altdorfer, das sagenumwobene verschwundene Schlachtenbild Leonardo da Vincis oder Picassos Anti-Kriegs-Bild, Guernica, das in Postkartenform der Kommunistischen Partei Italiens in der Illegalität als Parteiausweis diente.
 
Zwar ist das Schlachtengemälde fast ausgestorben, doch Bilder von Schlachten sind allgegenwärtig: die Nachrichten haben die Künstler beerbt und werden von Berichten über Kriege beherrscht. Die Fernsehsender hatten zwischendurch das Darstellungsmonopol, doch seit der Jahrtausendwende liegt die Kriegsbildproduktion in den Händen der Kämpfer selbst, die ihre eigenen Taten mit Amateurvideokameras abbilden und im Internet veröffentlichen. Auch gehörte es zeitweise gehörte zum guten Ton, Kunstausstellungen mit ein, zwei engagierten Videos mit militanten Szenen von  Globalisierungskritischen Bewegungen zu bestücken, oder Fotos solcher Ereignisse in aufwendigen Leuchtkästen auszustellen.  
 
Doch Sséfers geht anders vor. Der Künstler scheint sich der Thematik des Schlachtenbildes zu verweigern: abstrakte Flächen beherrschen das Bild - unterschiedlich durchsichtige Farblasuren in grau, gelb, schwarz, ein Netz aus Linien, aber auch bergartiges, rau-organisches füllt die Leinwand.
 
Doch hinter scheinbar verspielten Farbflächen verbirgt sich ein verdecktes Regelwerk.
 
Ganz ausdrücklich bezieht Ssèfers sich auf ein ephemeres Werk aus der Renaissance: Auf das "Traumgesicht" Albrecht Dürers. Ssèfers Malerei übernimmt das Seitenverhältnis und Motive aus dem kleinen Aquarell, das Dürer unter dem Eindruck eines Albtraumes in einer Juni Nacht im Jahre  1525 getuscht hatte.
 
In den 14 Tagen davor war das aufständische thüringische Bauernheer bei  Frankenhausen von Landsknechten niedergemacht worden, war Thomas Müntzer hingerichtet worden, hatte der Herzog von Lothringen eine Blutspur durch den Elsaß gezogen, waren, nach groben Schätzungen, an die 100.000 Bauern erschlagen worden.
 
Dürers Aquarell wurde wegen seiner radikalen, modernen Subjektivität berühmt. Es markiert jedoch zugleich das massenhafte Auftreten revolutionärer Klassenkämpfe in Europa. Es ist signifikant, dass die Niederlage der ersten revolutionären Bewegung in Zusammenhang mit dem Auftritt der Subjektivität in der bildenden Kunst passiert, mit der Darstellung des Imaginären.
 
Was bedeutet es, wenn sich ein Künstler heute auf die Klassenkämpfe des ausgehenden Mittelalters bezieht? Bekommen wir nicht tagtäglich erzählt, am Ende der Geschichte angekommen zu sein, in einer Ära, in der soziale Kämpfe obsolet geworden sind? Ssèfers sieht das anders.
 
In seinem Bild ist ein Rundgang dargestellt: „Der Landgang durch die Sonderrechtszone“. Dieser Landgang wurde von einer Gruppe Leute, dem Aktionsnetzwerk gegen Gentrification, mit künstlerischen Mitteln inszeniert. Doch was ist eine Sonderrechtszone? Als solche bezeichnet man ein Gebiet, in dem die allgemein gültigen Rechte eingeschränkt sind. Die Maßstäbe für eine Gefahrenprognose polizeilichen Eingreifens, die eine Ausformung der Grundrechte sind, werden quasi umgedreht – in einer Sonderrechtszone herrscht eine permanente, latente -juristisch: abstrakte- Gefahr.
 
Eine solche Zone ist neuerdings St. Pauli rund um die Reeperbahn. Der Bereich ist in der Wirklichkeit mit gelben Schildern markiert, auf denen die Besucher der Zone vor der dort herrschenden Videoüberwachung gewarnt werden, und auf denen weitere spezielle Einschränkungen der bürgerlichen Freiheitsrechte angekündigt werden. Der Künstler hat die gelbe Farbe dieses Schildes in seine Malerei einfließen lassen, und zitiert damit sogleich die Platzverweise, wie sie die Polizei an dort unerwünschte Personen verteilt, in denen die Verbotszone gelb eingezeichnet ist. Selbst als Anwohner läuft man Gefahr, den Aufenthalt in St. Pauli verwehrt zu bekommen.
 
Doch anders als auf dem amtlichen Zettel mit dem Platzverweise erteilt werden, franst das Gelb auf dem Gemälde aus: gelbe Linien zischen durch’s Bild, das Gelb strahlt und wirft ein veränderndes Licht auf Gegenstände und Personen, es läuft, wie eine groteske Zunge, vom Himmel herab: damit verweist der Künstler auf den Erosionsprozess der Grundrechte, das an den Grenzen der Sonderrechtszone nicht haltmacht, sondern, wie alle Prekarisierungsprozesse, schließlich die gesamte Gesellschaft erfasst und die Grundrechte aller in Frage stellt.
 
Das St. Pauli eine Sonderrechtszone wird, ist besonders dramatisch, weil der Stadtteil bis vor kurzem als das Gegenteil galt: als Toleranzzone Hamburgs, als ein Bereich mit gesellschaftlichen Grauzonen, wo auch gar Verbotenes stattfindet, etwa ein Leben auch für illegalisierte Menschen ohne Pass möglich ist.  
 
In St. Pauli finden täglich Rundgänge statt. Dieser jedoch stand ab einem gewissen Zeitpunkt unter polizeilicher Beobachtung. Die Beamten verfolgten das Geschehen, lächelten bisweilen höflich und schufen mit ihrer kommentarlosen Begleitung einen Vertrauenstatbestand. Der Rundgang - im Bild dargestellt durch eine Reihe grauer Stöckchen oder Stäbe - arbeitete sich weiter durchs Viertel. Kleine partizipatorische Aktionen, Publikumsbeteiligung, ein Vortrag im von den Nazis beseitigten Chinesen-viertel, ein Besuch der Investorenarchitektur am Gebrüder Wolff Platz  und schließlich eine Analyse des Eventisierungs- / Aufwertungs- und Überwachungsparadigmen am Beispiel der „Tribünen“ auf dem Spielbudenplatz, prägten den Rundgang, der mit einer Finissage und Sekt auf dem Spielbudenplatz beendet wurde.
 
All diese Geschehnisse schildert das Bild nicht direkt, sondern verklausuliert im Bild einer über das Viertel herabstürzenden Masse, Sinnbild für die übermächtigen Gentrifizierungsprozesse und die omnipotenten Investorenarchitekturen: ein Albtraum (womit wir wieder bei Dürer sind).
 
Rechts im Bild kann man kleine Rechtecke sehen. Diese sehen aus wie die Schildkrötenformation einer römischen Legion. Diese symbolisieren die heranrückende Polizei, die schließlich behelmt in die Finissage stürmte und Performer und Besucher des Rundgangs überfiel, zu Boden warf, verprügelte, verletzte und verhaftete.
 
Die Thematisierung der Sonderrechtszone und ihrer juristischen, abstrakten Gefahr wird selbst zur Gefahr – und zur Bekämpfung einer, wenn man will, doppelt-abstrakten Gefahr können ganz konkrete Maßnahmen getroffen werden. Hier, im goldenen Schnitt am rechten Bildrand wird dann auch Ssefers Darstellung konkreter.  Für die Wiederherstellung einer (konkret nicht einmal gestörten) abstrakten Ordnung wurde die handfeste Verletzung mehrerer Menschen, die ärztlicher Behandlung bedurften, in Kauf genommen.
 
Die Kunst steht unter dem besonderen und ausdrücklichen Schutz des Grundgesetzes. Artikel 5 entstand unter dem  Eindruck des Naziregimes, und sichert der Kunst wie der Wissenschaft zu, unbehelligt von staatlichen Eingriffen wirken zu können. Der Angriff der Polizei auf den Landgang war grundlos, unangemessen, unverhältnismäßig – und demnach eine Verletzung der Kunstfreiheit (und übrigens auch der körperlichen Unversehrtheit der Perfomer).  
 
Doch wieso stellt der Maler die Vorgänge nicht direkt dar, sondern versetzt sie in die Vergangenheit, in ein untergegangenes Imperium? Solche Übergriffe der Exekutive passieren häufiger, und Sonderrechtszonen und neue Polizeigesetze verleihen ihnen einen Anschein der Legitimität. Ssèfers sieht diese Entwicklung kritisch, als Anzeichen imperialer Macht. Deren Ordnungstruppen können überall auftauchen und das gesamte Terrain des Imperiums letztlich zur Kampfzone erklären. Sicherlich will Ssefers mit der Bildsprache aus Lanzen und Legionen auch andeuten, dass sich die Mittel der Herrschaftsausübung vom alten Rom bis ins von bald von futuristischen (aber gesellschaftlich alles anderes als progressiven) Investorenarchitekturen verschandelte St. Pauli manchmal nicht wesentlich geändert haben.
 
Der Vorwurf, der hier heute gegen einen der Perfomer erhoben wird, lautet, dass er sich  untergehakt habe, bevor er zu Boden gerissen und getreten wurde. Ein elementarer körperlicher Akt der praktischen Solidarität, das sich aneinander unter-die-Arme-greifen, wird in einer Sonderrechtszone zur grobem Unrecht – zu einer strafbaren Widerstandshandlung.
Damit betreibt die Obrigkeit ihre eigene Finissage des damaligen Geschehens. Mit seinem Bild möchte Ssefers auch dem Zeichen, das von einer symbolhaften als-Unrecht-Erklärung des künstlerischen Landgangs ausgehen soll, ein Symbol entgegensetzen.
 
Ich finde, das ist ihm sehr gelungen.
 
Dr. Ananans Vonvalckenberg